Persönliche Erklärung nach §31 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags

zum Abstimmungsverhalten in der 116. Sitzung des Deutschen Bundestages am 07. Juli 2023
zum Zusatzpunkt 2./3. Beratung des Gesetzentwurfes zur Änderung des LNG-Beschleunigungsgesetzes
und des Energiewirtschaftsgesetzes, Drucksache 20/7279:

Die Ausweitung des verbrecherischen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine hat Deutschland jäh aus einer jahrzehntelangen energiepolitischen Naivität geweckt. Mit der Drosselung der Gaslieferungen von Seiten Russlands ließ sich nicht mehr verleugnen, wovor bereits jahrelang, besonders durch unsere Nachbarn in Mittel- und Osteuropa, gewarnt wurde: Putins Russland nutzt seine Energieressourcen als strategische Waffen zur Durchsetzung seiner außenpolitischen Ambitionen. Den Preis zahlten jahrelang andere. Wir in Deutschland ließen uns vom vermeintlich günstigen Gas aus Russland blenden und begaben uns immer weiter in die energiepolitische Abhängigkeit. Das war ein schwerer außen-, energie- und wirtschaftspolitischer Fehler.

Die drohende Gasmangellage im vergangenen Jahr hat viele Privatpersonen und große Teile der Wirtschaft stark verunsichert. Dank einer Bevölkerung, die ihr Heizverhalten merklich änderte und Einsparungen schaffte, konnte verhindert werden, dass in Deutschland im großen Stil die
Wirtschaft gedrosselt werden musste oder Wohnungen im Winter kalt blieben. Diesem gesamtgesellschaftlichen Kraftakt gebührt hohe Anerkennung. Für die Bundesregierung bestand gleichzeitig die Aufgabe schnell die notwendigen Maßnahmen in die Wege zu leiten, um jahrzehntelange
energiepolitische Versäumnisse innerhalb kürzester Zeit zu korrigieren. Dafür stimmte der Deutsche
Bundestag letztes Jahr unter anderem auch für das LNG-Beschleunigungsgesetz. Mit dem
Gesetz wurde es erleichtert neue Importstrukturen für Flüssiggas in Deutschland aufzubauen und
somit das Ausbleiben russischer Gaslieferungen durch die Pipelines abzufedern, um die Versorgung
kurzfristig zu sichern, flexible Importstrukturen zu schaffen und so die Energiepreise stabil
und bezahlbar zu halten.

Momentan sind die Gasspeicher gut gefüllt und doch gibt es Sorgen, dass im kommenden Winter
wieder eine Gasmangellage drohen könnte. Die heute verabschiedete Novellierung des LNG-Beschleunigungsgesetzes soll daher die Grundlage schaffen für einen weiteren LNG Anlandepunkt
im Osten Deutschlands, am Standort Mukran auf Rügen. Dieser soll helfen, dass in den nächsten
Jahren die Gasversorgung gerade auch im Osten sichergestellt ist.


Bislang landete mit Nord Stream I ein großer Teil des von Deutschland genutzten Erdgases in
Mecklenburg-Vorpommern an. Von dort wurde das Gas dann weiter gen Süden bis nach Bayern
und Tschechien geleitet. Nach dem Wegfall dieser Bezugsquelle kommt ein Großteil unseres Gases
von Häfen oder Pipelines an der Nordseeküste. Jedoch sind die Durchleitungskapazitäten von
West nach Ost begrenzt und derzeit ist ihr Auslastungsniveau bei Volllast. Für mich ist eine
Lehre aus der Energiekrise, dass wir sichere, belastbare und redundante Versorgungssysteme
brauchen. Nur so können wir im Energiesektor sicher aufgestellt sein. Ein vorübergehendes, erneutes
Nutzen der vorhandenen, von Lubmin ausgehenden, Gasinfrastruktur kann hierbei für
eine Übergangszeit mehr Sicherheit schaffen.

Ich bin mir bewusst, dass ein Teil der Bevölkerung von Rügen die beiden FSRUs vehement ablehnt. Der Protest auf der Insel war in den vergangenen Monaten laut und deutlich. Er hallte bis nach Berlin, wurde dort gehört und breit wahrgenommen. Die Bundesregierung änderte daraufhin ihre ursprünglichen Pläne für einen Standort in unmittelbarer Nähe der historischen Seebrücke vor Sellin. Die Auswirkungen auf den vor Ort so wichtigen Tourismus wären an dem Standort immens gewesen. Stattdessen wurde der Hafen von Mukran als neuer Standort gewählt. Zudem wurden die ursprünglichen Planungen von vier FSRUs um die Hälfte auf zwei reduziert. Die Bedenken in Bezug auf Lärm und die Einleitung von Chemikalien wurden nicht nur aufgenommen, sondern werden in den Planungen adressiert und gelöst. Der Protest war nicht umsonst! Eine Belastung vor Ort bleibt es trotzdem.

Dennoch haben die Anschläge auf drei der vier Nord Stream-Stränge gezeigt, wie verwundbar unsere
Energieinfrastruktur ist. Das temporäre Terminal vor Rügen kann mit seinen zusätzlichen Kapazitäten für etwas mehr Sicherheit sorgen.

Wir Bündnisgrüne haben darüber hinaus unter anderem an Nord Stream II stets kritisiert, dass das Projekt unsolidarisch mit den mittel- und osteuropäischen Staaten sei, die das Projekt stets ablehnten, da sie bereits mit einem klareren Blick auf Russland sahen. Angesichts der Analysen der Bundesnetzagentur zur Gasversorgung von Mittel- und Osteuropa, die für einen Bedarf von weiterer Gasimportinfrastruktur in der Ostsee argumentieren, sollten wir diesen Fehler des rein nationalen Blicks jetzt nicht wiederholen.

Gleichzeitig regieren wir Bündnisgrüne in Zeiten einer immer stärker aufziehenden globalen Klimakrise,
die uns immer mehr vor Augen führt, dass die Menschheit den Ausstieg aus fossilen Energieträgern möglichst bald schaffen muss. Mehrere Studien argumentieren, dass mit den momentan sich in Planung befindenden LNG-Importstrukturen möglicherweise Importüberkapazitäten von Flüssiggas geschaffen werden. Wir Bündnisgrüne haben daher verschiedene Vorsichtsmaßnahmen im Gesetz untergebracht, um die Gefahr möglichst zu verringern. Einen Lock-in-Effekt, wie wir Bündnisgrüne ihn bei den Nord Stream II -Planungen immer befürchtet haben, gilt es auch hier unbedingt zu vermeiden. Wir müssen auch in Zukunft genau darauf achten, dass das schwimmende, temporäre Terminal vor Rügen lediglich als eine Versicherungslösung der deutschen und europäischen Gasversorgung zu verstehen ist. Es darf der Dekarbonisierung Deutschlands und der damit verbundenen wirtschaftlichen Entwicklung, besonders im Norden, nicht im Weg stehen.

Viele der angeführten Bedenken halte ich für nachvollziehbar und sehr berechtigt. Natürlich können wir die Zukunft nicht genau vorhersehen, daher ist es unsere Aufgabe für die schlechtmöglichsten Umstände zu planen. Die Bedenken vor Ort müssen jedoch unbedingt auch während des Baus und Betriebs des Terminals weiter Beachtung finden. Der Ausstieg aus fossilen Energien, unser Ziel bis 2045 klimaneutral zu sein, der Schutz unserer Natur und Umwelt bleiben für mich der Leitfaden unseres Handelns. Trotz der Bedenken stimme ich im Sinne eines gemeinsamen Abstimmungsverhaltens in der Koalition dem Gesetzentwurf zu.

Claudia Müller MdB